Ivo Hammer, Rede zur Wieder-Eröffnung des Gartens der Häuser Löw-Beer und Tugendhat, 5. April 2023

5. April 2023, 14 Uhr

Einladung des Direktors des Stadtmuseums Brünn, Mag. Zbyněk Šolc

Reden von JUDr. Markéta Vaňková, Oberbügermeisterin der Statutarstadt Brünn, dem Gouverneur der Südmährischen Region, Mgr. Jan Grolich 

 

Ivo Hammer

Rede zur Eröffnung des Gartens des Hauses Tugendhat

 

Frau Oberbürgermeisterin!

Herr Bezirkshauptmann!

Herr Direktor!

Meine Damen und Herren!

 

Mein Name ist Ivo Hammer, ich bin Ehemann von Daniela Hammer-Tugendhat, der jüngsten Tochter von Grete und Fritz Tugendhat, den Erbauern des Hauses Tugendhat.

Ich bedanke mich bei Direktor Šolc für die Einladung zu diesem erfreulichen Event. Ich sehe die Einladung als Zeichen der Wertschätzung, die das Museum der Stadt Brünn der Familie entgegenbringt.

 

Am 13. März 2023 ist Ernst Tugendhat gestorben. Ernst Tugendhat war nach den Worten des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Frank Walter Steinmeier, „einer der bedeutendsten Philosophen der Nachkriegszeit, dessen Denken die deutsche Philosophie revolutioniert und geprägt hat.“ Ich danke im Namen der Familie für die Kondolenz der Stadt Brünn und des Museums der Stadt Brünn. 

Ernst Tugendhat war der Letzte der Familien Löw-Beer und Tugendhat, der noch in den beiden zu diesem Garten gehörenden Häusern Löw-Beer und Tugendhat gelebt hat. 

 

Ich möchte diesen Event auch zum Anlass nehmen, an den Vater von Grete Tugendhat, Alfred Löw-Beer zu erinnern, der im April 1939 auf der Flucht vor den Nazis bei Pilsen ermordet wurde.

 

Ich freue mich über die Öffnung des Zauns zwischen den beiden Häusern Löw-Beer und Tugendhat. Diese Öffnung stellt räumlich die historische Situation wieder her. Es ist nicht allgemein bekannt, dass Alfred und Marianne Löw-Beer ihrer Tochter Grete aus Anlass ihrer Hochzeit mit Fritz Tugendhat nur den Baugrund und die Baukosten des Hauses Tugendhat als Vorgriff auf ihr Erbe schenkten. Der übrige Garten, auch der Bereich des ehemaligen Belvederes, blieb Eigentum von Gretes Eltern. Fritz Tugendhats Fotos, die in unserem Buch publiziert sind, dokumentieren die Nutzung dieses Gartens, auch als Spielplatz für die Kinder, im Sommer das Plantschen mit dem Wassersprenger, im Winter das Rodeln auf dem wie dafür geschaffenen Abhang.

 

Ich erinnere mich auch gerne an das Familientreffen im Mai 2017. Im Rahmen von Meeting Brno hatte die Stadt von den Juden, welche die Shoa überlebt haben, drei Familien eingeladen, die für das kulturelle Leben der Stadt vor 1938 bedeutsam waren: Die Familien Löw-Beer, Tugendhat und Stiassny. Wir hatten mit ca. 40-50 Personen gerechnet, gekommen sind mehr als 120. Das Treffen der Familien im Garten, bei strahlendem Wetter, mit den spielenden Kindern und life Musik von Andrea und Jonas erzeugten schöne, aber auch ambivalente Emotionen.

 

Die ikonischen Fotos von Rudolf de Sandalo von 1931 präsentieren das Haus als solitären Kubus, menschenleer und ohne Bewuchs. Die Fotos von Fritz Tugendhat aus den wenigen Jahren danach, in den denen die Familie in ihrem Haus wohnen konnte, dokumentieren die materielle Lebensrealität des Hauses, seine Zeitlichkeit, seine Alterung, den Bewuchs und den belebten Landschaftsgarten. Die Fotos zeigen einerseits die von Ludwig Mies van der Rohe intendierte innige Verbindung von Architektur und Natur, von geometrischer Klarheit und organischer Lebendigkeit, und andererseits die von Mies van der Rohe so genannte bedeutungsvolle Leere des von der berühmten tschechischen Gartenarchitektin Grete Müller-Roder in Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe und wohl auch Lilly Reich gestalteten Landschaftsgartens.

 

Im 18. Jahrhundert waren diese Anhöhen über dem Flüsschen Ponávka Weinberge, teilweise durchsetzt mit Obstbäumen. In den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat man offenbar diese Weinberge aufgelassen und einen Aussichtspunkt, genannt Belvedere eingerichtet. Der Ziegelfabrikant Antonin Rüdiger Deycks, kaufte 1854 das Grundstück, richtete ein Gewächshaus ein und ließ wahrscheinlich auch Parkbäume pflanzen.

 

Zu der 1904 nach Plänen von Alexander Neumann für den Fabrikanten Moritz Fuhrmann gebauten Jugendstil-Villa gehörte auch das Kutschenhaus mit winkelförmigem Grundriss und auch ein Garten mit Brunnen, Treppen, Laube und möglicherweise auch die frei ondulierenden Wege eines Englischen Parks bis hinauf zum Belvedere am nördlichen Rand an der Schwarzfeldstraße.

 

Als Alfred und Marianne Löw-Beer 1913 die Jugendstil-Villa kauften und mit ihren Kindern Max (11), Grete (10) und Hans (I2 Jahre) einzogen, ließen sie den Garten wahrscheinlich unverändert.

 

Grete Müller-Roder übernahm 1929-1930 das Wegesystem des Englischen Parks, vereinfachte es etwas, führte im Bereich des Servicetrakts einen Nutzgarten ein und entlang des Sockels des Hauses eine Terrassierung mit Trockenmauern aus Bruchstein, vielleicht eine Allusion an die historischen Weingärten. Der Grundriss des Hauses richtet sich eindeutig auf die Achsenbeziehung zwischen der halbrunden Essnische und der damals schon großen Trauerweide, dem Lieblingsbaum von Grete Tugendhat. Grete Müller-Roder plante auch den Sitzplatz unter der Trauerweide, mit direktem Zugang mittels einer Treppe durch die Terrassierung und einem weiterführenden Weg. Eine (heute nicht mehr erhaltene) geschlossene Vegetation zu den Nachbargrundstücken stellte die sicherlich von der Bauherrenschaft gewünschte Privatheit des als bedeutungsvolle Leere verstandenen Gartenraums her.

 

Es sei in diesem Zusammenhang auch an die ausgezeichnete Planungsarbeit von Přemysl Krejčiřík und seinem Team während der rezenten Restaurierung des Gartens 2010-2012 erinnert

 

Ich möchte die Öffnung des Gartens zwischen den beiden Häusern auch in einem übergreifenden, symbolischen und sozialen Sinn verstehen: als mentale Öffnung der Tore und auch als reale Öffnung der Grenzen dort, wo es aus kulturellen und humanitären Gründen notwendig ist.

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Ivo Hammer, Ben Willikens: Raum Nr. 1387, Mies van der Rohe, Villa Tugendhat (Salon)

Ben Willikens, Raum Nr. 1387. Mies van der Rohe, Villa Tugendhat (Salon), Brünn, 2018. Detail. Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt. Ausstellung Albertina 2022. Foto: Ivo Hammer
Ben Willikens, Raum Nr. 1387. Mies van der Rohe, Villa Tugendhat (Salon), Brünn, 2018. Detail. Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt. Ausstellung Albertina 2022. Foto: Ivo Hammer
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Ben Willikens, Raum Nr. 1387. Mies van der Rohe, Villa Tugendhat (Salon), Brünn, 2018. Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt. Ausstellung Albertina 2022
Abstract:
Mein erster Eindruck des drei Meter breiten und zwei Meter hohen Bildes: Es gibt Farbe in dem Bild, und – zweitens - die Materialität der Architektur ist ausgeblendet.
Wenn man vor dem Bild steht, erscheint der Raum wie lebensgroß, der vorderste der Pfeiler ist oben vom Bildrand überschnitten. Die Decke, die (in der realen Architektur verchromten) Pfeiler und die den Raum begrenzenden Fensterrahmen, der verchromte Stahl der Möbel der Sitzgruppe, also die Barcelona-Stühle, die Tugendhat-Stühle, der Barcelona-Hocker, der Dessau-Tisch und die chaise longue erscheinen in einem hellen, freundlich-warmem Grau, der Boden dunkler, kälter, alle Architekturelemente ohne Referenz auf die Materialien und Oberflächen des realen Baus und ohne das reiche Lichtspiel der glatten und polierten Oberflächen.
Viele Elemente der realen Architektur, wie zum Beispiel der Wintergarten, die Vorhänge, die Geländer, die Heizungssrohre sind weggelassen.
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